im kaputten kapitalistischen System. Eine Institutionskritik.
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Ganz unschuldig kommt der Mensch auf die Welt – rein, gut und ausgestattet mit individuellen Talenten. Doch noch bevor er merkt, dass er ein angeborenes Genie in der Kunst des Grashalm-Pfeifens oder des Wasserplätschern-Hörens ist, wird er von seinen Eltern, der Gesellschaft und letztlich dem gesamten System einer gewaltigen Umerziehung unterzogen. Diese Erziehung hat nur ein Ziel: die natürliche Menschlichkeit systematisch zu untergraben. Klingt übertrieben? Vielleicht, aber lassen Sie uns das einmal mit einem humorvollen, aber nachdenklich ernsten Blick durchspielen.
Das Hineinwachsen…
Zunächst der erste Schlag: Die Eltern. Natürlich handeln sie nur aus Liebe, aber auch sie sind nur Zahnräder eines Systems, das den kreativen, wild umherlaufenden Nachwuchs in klare Bahnen lenken will. „Setz dich hin, sei ruhig, iss dein Gemüse, mach deine Hausaufgaben!“ All diese Sätze klingen harmlos, aber was sie wirklich sagen, ist: „Vergiss die Grashalme, vergiss den kreativen Unfug, den du vorhast. Es gibt wichtigere Dinge als das, was du willst.“ Der Keim der Unterdrückung wird gesät.
Und dann? Ab in die KITA und später in die Schule, die brutalen Vorboten der Lohnarbeit. Hier wird jeglicher Funke von Individualität und freiem Denken endgültig erstickt. Es heißt, die Schule bereite auf das Leben vor – aber auf welches Leben? Ein Leben, in dem die eigenen Talente gegen gute Noten und eine Karriere im Büro eintauscht werden? Während die Kinder mathematische Formeln pauken, vergessen sie langsam, dass es auch Spaß gemacht hat, mit Matsch zu spielen oder Wolkenbilder zu deuten. Später in der Normierung von künstlerischen Aktivitäten, lernen wir, wie Wolken gemalt werden können, statt sie einfach zu malen.
Ach, die Schule. Da lernen wir Disziplin. Geht es auch irgendwie anders? Es wäre naiv zu glauben, dass diese Missstände nicht bekannt sind. Immer wieder werden Schulreformen angestoßen, die das Ziel haben, diese Ungleichheiten zu bekämpfen. Doch diese Vorhaben stoßen oft auf politischen Widerstand. Warum? Weil das Aufbrechen der sozialen Milieus nicht im Interesse aller ist. Die herrschenden Schichten profitieren davon, dass die Strukturen bestehen bleiben. Schließlich sind es ihre Kinder, die von den bestehenden Verhältnissen am meisten profitieren. Eigentlich ist die Aufgabe der Schule, die soziale Reproduktion zu verhindern und allen Kindern – unabhängig von ihrer Herkunft – die gleichen Chancen zu bieten. Doch statt das Aufbrechen der sozialen Schichten zu fördern, trägt das Schulsystem oft dazu bei, diese zu festigen. Bildungseinrichtungen verteilen Zertifikate und Abschlüsse, die wiederum an das kulturelle und soziale Kapital geknüpft sind, das die Schüler:innen bereits von zu Hause mitbringen. Wer im falschen sozialen Milieu aufwächst, bleibt oft hinter den Möglichkeiten zurück, die andere durch ihr kulturelles Kapital schon früh erschließen können.
Reformen, die darauf abzielen, Chancengleichheit zu schaffen und das Bildungssystem fairer zu gestalten, werden daher oft blockiert. Das zeigt deutlich, dass die Frage, ob wir tatsächlich alle die gleichen Möglichkeiten haben, um neues Kapital zu generieren, nicht nur eine individuelle Angelegenheit ist. Es ist eine systemische Frage. Und solange das System darauf ausgelegt ist, bestehende Ungleichheiten zu reproduzieren, bleibt das Versprechen der Meritokratie – dass jeder es durch Fleiß und Anstrengung schaffen kann – eine Illusion.
In einer Welt, in der uns das Mantra „Du bist deines eigenen Glückes Schmied“ quasi in die Wiege gelegt wird, könnte man meinen, das Leben sei ein gigantischer Schmiedehof. Alles, was wir brauchen, ist ein Hammer (Fleiß), ein Amboss (Disziplin), und vielleicht ein paar Funken (Glück), um uns unser eigenes glänzendes Schicksal zu formen. Doch halt! Bevor wir in die Feuer der Selbstverwirklichung springen, sollten wir kurz innehalten und uns fragen: „Habe ich überhaupt die richtige Ausbildung zum Schmied?“ Denn so leicht, wie uns die Idee der Meritokratie (also die Vorstellung, dass der, der hart genug arbeitet, auch den Erfolg verdient) verkauft wird, ist das Ganze nicht.
Meritokratie klingt im ersten Moment wie eine feine Sache: Jede:r bekommt das, was er:sie verdient. Wer hart arbeitet, steigt auf; wer faul ist, bleibt stehen oder fällt gar. Doch diese Theorie hat einige Stolperfallen. Nicht jeder startet auf der gleichen Startlinie. Manche haben quasi schon eine halbe Medaille in der Hand, bevor sie überhaupt angefangen haben zu laufen. Denn, wie Pierre Bourdieu in seiner Kapitaltheorie darlegt, besteht unser Glück (oder Erfolg) nicht nur aus der Summe unserer individuellen Bemühungen, sondern auch aus den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen. Und da wird’s knifflig.
Was wenn der Mensch nicht mithalten kann?
Irgendwann rebelliert der Mensch. Manche können das System nicht länger ertragen, und was passiert mit ihnen? Sie werden pathologisiert. „Sie haben Burnout? Depressionen? Vielleicht sogar ein Hauch von ADS oder einer bipolaren Störung? Willkommen in der Psychiatrie!“ Hier werden wir vollends zu perfekten Systemrobotern umprogrammiert. Probleme mit der Anpassung? Kein Problem – die Pharmaindustrie hat die perfekte Pille entworfen.
Krankheiten, insbesondere psychische, sind oft mehr als biologische Phänomene – sie sind Konzepte, die sich in bestimmten historischen und sozialen Kontexten entwickeln. Dies bedeutet nicht, dass die Symptome oder das Leiden nicht real sind. Aber wie wir diese Zustände definieren und interpretieren, hängt stark davon ab, welche kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerade dominieren. Psychische Krankheiten sind dabei ein besonders interessantes Beispiel, weil sie in gewisser Weise auch unsere Normvorstellungen von „gesundem“ Verhalten und Denken spiegeln.
Im 19. Jahrhundert galten Frauen, die zu viel nachdachten oder unzufrieden mit ihrer Rolle waren, schnell als „hysterisch“. Heute wissen wir natürlich, dass „Hysterie“ als Diagnose eher eine Beruhigungspille für die patriarchale Gesellschaft war. Doch das Prinzip bleibt: Was als „krank“ gilt, hängt davon ab, welche Verhaltensweisen gerade als abweichend vom Mainstream betrachtet werden. Was heute die „General Anxiety Disorder“ ist, war früher vielleicht einfach „Leben unter Kapitalismus“.
Aber es wird noch besser: Neue psychische Krankheiten scheinen wie Pilze aus dem Boden zu sprießen, sobald ihnen nur die richtigen Bedingungen gegeben wird. Führen die Psychiatrie und das Gesundheitssystem eine Art „Wettlauf um die besten Pathologien“, um unsere komplexen, oft widersprüchlichen Lebensumstände zu erklären? Plötzlich ist jeder nervöse Tritt unter dem Schreibtisch eine Diagnose wert. Sind wir da nicht alle ein bisschen bipolar? Gerade wenn sich eine freundlich aufgeschlossene Frau* durchsetzt am Arbeitsplatz. Kann doch wahr sein (:
Natürlich, Stress, Angst und Depressionen sind ernstzunehmende Probleme – keine Frage. Aber die Art und Weise, wie sie vermarktet, katalogisiert und pathologisiert werden, hat etwas Surreales. Es ist, als ob unsere Gesellschaft psychische Krankheiten als Konzept nutzt, um alle an der Leine zu halten. Es reicht nicht mehr, unglücklich oder erschöpft zu sein, man muss sich gleich einem Etikett unterwerfen. Und während uns das hilft, uns in einer komplexen Welt einzuordnen, bleibt doch die Frage: Werden wir wirklich geheilt oder nur besser sortiert?
Die Definitionsmacht darüber, was gesund und was krank ist, liegt dabei oft bei den Institutionen, die zugleich für die Verwaltung dieser „Krankheiten“ zuständig sind. Das Gesundheitssystem und die Pharmaindustrie haben ein starkes Interesse daran, dass immer neue Diagnosen hinzukommen – denn wo wäre sonst der Markt für Medikamente? Hier sieht man, wie flexibel das Konzept von Krankheit ist: Immer wenn die Gesellschaft einen neuen Aspekt des Lebens nicht mehr bewältigen kann, wird er pathologisiert. Übermüdung? Burnout. Zu viel Netflix? Gaming Disorder. Zu viel über das Konzept von psychischen Krankheiten nachdenken? Vielleicht „Pathologische Reflexivität“.
Das gesellschaftliche System, in dem wir leben, basiert auf klaren Regeln, Normen und Erwartungen. Wenn wir uns an diese Regeln halten, sind wir „konform“, also angepasst an das, was die Gesellschaft als akzeptabel oder normal erachtet. Aber was passiert, wenn wir uns nicht an diese Normen halten? In vielen Fällen gilt man dann schnell als kriminell – statt einfach nur „anders“ oder „krank“.
Regeln existieren, um Ordnung zu schaffen und das Zusammenleben zu erleichtern. Sie sind so gestaltet, dass das soziale Gefüge stabil bleibt und die Gesellschaft funktioniert. Aber diese Regeln sind nicht immer universell sinnvoll oder gerecht. Sie spiegeln oft die Interessen der Mächtigen wider, die das System kontrollieren, und wer diese Regeln bricht, wird oft als Gefahr für die Ordnung angesehen.
Wenn ein Mensch sich entscheidet, gegen diese Normen zu handeln – sei es aus Protest, weil die Regeln ihm als ungerecht erscheinen, oder weil seine persönlichen Überzeugungen in einem fundamentalen Widerspruch zu diesen Regeln stehen – wird er nicht automatisch krank. Die Idee, dass Nonkonformität eine Krankheit sei, ist eine Tendenz, die auf Pathologisierung basiert. Es bedeutet, abweichendes Verhalten zu einer psychischen oder sozialen Störung zu erklären, was bequem ist, um das System vor Kritik zu schützen. Anstatt Nonkonformität als individuelle Eigenheit oder als Versuch zu verstehen, andere, vielleicht freiere Wege zu finden, wird sie oft kriminalisiert. Denn das System kann es sich nicht leisten, dass zu viele Menschen abseits der Regeln agieren – das würde seine Struktur gefährden. Daher wird oft der Weg gewählt, abweichendes Verhalten strafrechtlich zu verfolgen. Kriminalität entsteht nicht immer aus böswilligen oder destruktiven Motiven, sondern oft einfach aus dem Willen, sich nicht dem zu beugen, was als „normal“ angesehen wird.
Robert K. Mertons Theorie der Anomie erklärt Kriminalität durch das Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlich vorgegebenen Zielen (wie Wohlstand und Erfolg) und den begrenzten legalen Mitteln, diese zu erreichen. In Gesellschaften, wo diese Ungleichheit stark ist, entstehen abweichende Verhaltensweisen, da Menschen alternative Wege suchen, um die Ziele zu erreichen. Kriminalität ist eine dieser Reaktionen, die aus der strukturellen Spannung resultiert.
Im Zusammenhang mit strukturellem Rassismus beispielsweise kann Mertons Anomietheorie helfen, zu verstehen, warum marginalisierte Gruppen, die systematisch von Ressourcen und Möglichkeiten ausgeschlossen werden, häufiger kriminalisiert werden. Struktureller Rassismus verstärkt die Anomie, da diskriminierte Gruppen oft weniger Zugang zu legalen Mitteln haben, um gesellschaftlich anerkannte Ziele zu erreichen, was die Wahrscheinlichkeit von abweichendem Verhalten erhöht. Kein Problem. Wer kriminell wird landet im auf kurz oder lang im Knast und Gefängnisse sind die ultimativen Orte der Repression. Sie sind der letzte Beweis dafür, dass das System alles tut, um die Menschlichkeit zu zerstören. Wer nicht mitspielt, wird weggesperrt. Ironischerweise lernen die Menschen in solchen Institutionen mehr über ihre Natur als draußen im System. Frei von den Zwängen des Alltags erkennen manche, wie absurd das Leben „draußen“ eigentlich ist. Die werden anschließend resozialisiert auf Kosten des Staates.
Hauptsache wir haben was zu tun…
Der Höhepunkt dieser Farce ist jedoch die Lohnarbeit. Wir tauschen unser wertvollstes Gut – Zeit – gegen Papier oder Zahlen auf einem Bildschirm. Warum? Um uns Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen, um Menschen zu beeindrucken, die wir nicht mögen. Und während wir ständig versuchen, uns selbst zu optimieren, vergessen wir, dass wir bereits gut genug waren, als wir noch Kinder waren, die sich an der Natur erfreuten.
Wenn wir uns Pierre Bourdieus Kapitaltheorie genauer anschauen, erkennen wir, dass Kapital in den verschiedensten Formen existiert – nicht nur in Geld. Soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital sind miteinander verwoben und entscheiden maßgeblich darüber, wie erfolgreich wir in der Gesellschaft sind. Aber eines ist klar: Neues Kapital fällt nicht einfach vom Himmel. Ohne den Austausch oder die Akkumulation von vorhandenem Kapital ist es nahezu unmöglich, etwas Neues zu schaffen.
Kapital – sei es sozial, ökonomisch oder kulturell – kann nicht einfach im luftleeren Raum entstehen. Es ist abhängig von einem System des Austauschs. Soziales Kapital etwa, die Beziehungen und Netzwerke, auf die wir zugreifen können, wird meist innerhalb eines sozialen Milieus weitergegeben. Menschen, die in einem wohlhabenden, gut vernetzten Umfeld aufwachsen, haben bereits von Kindesbeinen an Zugang zu Ressourcen, die andere mühsam erkämpfen müssen.
Doch auch wenn wir versuchen, Kapital auf andere Weise zu generieren, etwa durch Bildung und Lernen, stoßen wir auf weitere Hürden. Bildung erfordert nicht nur Zeit, sondern auch Freiräume, um sich entwickeln zu können. Ohne diese Voraussetzungen bleibt der Versuch, durch Lernen Kapital zu erwerben, ein schwieriges Unterfangen. Wer jeden Tag ums Überleben kämpfen muss, hat wenig Zeit und Energie, sich zusätzlich fortzubilden oder neue kulturelle Ressourcen anzueignen.
Ein weiterer wichtiger Punkt in Bourdieus Theorie ist das kulturelle Kapital. Es umfasst das Wissen, die Bildung und die kulturellen Fähigkeiten, die wir im Laufe unseres Lebens erwerben. Doch wie viel kulturelles Kapital wir besitzen, ist eng an das Umfeld geknüpft, in dem wir aufwachsen. Diejenigen, die von klein auf Zugang zu kulturellen Gütern wie Büchern, Kunst und anspruchsvollen Diskussionen hatten, besitzen einen unschätzbaren Vorteil. Sie verstehen die „Spielregeln“ der höheren gesellschaftlichen Schichten und können sich entsprechend verhalten.
Kulturelles Kapital wird ebenso vererbt wie ökonomisches Kapital. Ein Kind, das in einer akademisch geprägten Familie aufwächst, wird von Geburt an mit den Werkzeugen ausgestattet, die es später im Leben erfolgreich einsetzen kann. Doch dieses Kapital lässt sich nur schwerlich aufholen. Wer nicht von klein auf in diese Welt eingeführt wurde, hat es schwer, diesen Mangel im Erwachsenenalter zu kompensieren.
Unser System ist so ausgelegt, dass sich soziale Milieus innerhalb des sozialen Raums beständig reproduzieren. Ohne den Zugang zu den nötigen Ressourcen bleibt der Großteil der Menschen innerhalb der Schicht, in die sie hineingeboren wurden. Es ist ein ewiger Kreislauf: Diejenigen, die bereits über Kapital in seinen verschiedenen Formen verfügen, geben es an die nächste Generation weiter, während diejenigen, die keinen Zugang dazu haben, kaum Chancen haben, dieses Ungleichgewicht zu durchbrechen.
Wir könnten unsere Tage damit verbringen, Kunst zu schaffen, im Einklang mit der Natur zu leben und Kultur zu pflegen. Stattdessen sind wir gefangen in einem Hamsterrad der Optimierung, das uns immer weiter von dem entfernt, was wirklich zählt. Und dies ist sicher kein Konsum von Gütern, die wir nicht brauchen.
Wir brauchen eine neue Religion: New Age
Wir haben den Kontakt zu unserer Menschlichkeit so weit verloren, dass wir uns selbst für Gott halten. Wir glauben, dass wir unser Leben kontrollieren, dass wir alles erreichen können, wenn wir nur hart genug an uns arbeiten. Wir haben religiöse Systeme entwickelt, um uns zu erklären, warum das Universum uns so klein und unbedeutend erscheinen lässt – und dabei selbst nach einem sinnvollen Lebensplan suchen.
Die neue spirituelle Bewegung, mit Konzepten wie der „Hawkins Skala“, versucht uns wieder zu vermitteln, dass wir uns nur noch weiter entwickeln müssen, um Erleuchtung zu finden. Aber was, wenn der Sinn des Lebens nicht darin liegt, uns endlos zu optimieren? Was, wenn der Sinn viel einfacher ist? Vielleicht besteht er darin, Kunst zu schaffen und im Einklang mit der Natur zu leben. Ein Lagerfeuer am Strand, ein improvisiertes Gedicht, das Singen von Vögeln – das könnte wahre Erfüllung sein. Von entscheidender Bedeutung ist es doch, Menschen die Fähigkeit entwickeln zu lassen, sich ihre eigenen Ziele zu setzen lassen und diese unabhängig von ideologischen Vorgaben zu verfolgen.
Und nun? Was tun?
Zurück zur Frage, ob wir nun tatsächlich die Schmiede unseres eigenen Glückes sind. Wenn wir uns die Theorie von Bourdieu zu Herzen nehmen, dann müssen wir feststellen, dass uns vielleicht der Hammer fehlt – oder der Amboss, oder die Kohlen für das Feuer. Sicher, wir können uns anstrengen, aber ohne das nötige Kapital in all seinen Formen wird es schwierig, das gleiche Glück zu schmieden wie andere.
Und genau da liegt das Problem der Meritokratie: Sie geht davon aus, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben, und ignoriert dabei die tief verwurzelten Ungleichheiten in unserer Gesellschaft. Die Idee, dass jeder nur hart genug arbeiten muss, um erfolgreich zu sein, blendet aus, dass manche Menschen schon mit einem gefüllten Werkzeugkasten geboren werden, während andere erst mühsam einen Hammer zusammensuchen müssen.
Was bleibt uns also, wenn wir erkennen, dass wir möglicherweise nicht die vollausgestatteten Schmiede sind, als die uns die Gesellschaft sehen möchte? Nun, vielleicht können wir uns damit abfinden, dass das Leben nicht fair ist – aber das ist irgendwie zu zynisch. Oder wir könnten uns zusammentun, unser soziales Kapital aufbauen und uns gegenseitig beim Glücksschmieden helfen. Wir müssen anerkennen, dass Kapital, in all seinen Formen, nicht aus dem Nichts entstehen kann. Ressourcen bündeln – sei es durch den Austausch innerhalb sozialer Netzwerke oder durch Bildung, die wiederum Zeit und Freiräume erfordert.
Eins ist sicher: Die Formel „hart arbeiten = Erfolg“ greift zu kurz. Und solange wir nicht anerkennen, dass die Verteilung von Kapital in all seinen Formen ungleich ist, bleibt die Meritokratie ein Mythos. Ein sehr praktischer Mythos, für diejenigen, die ohnehin schon die nötigen Ressourcen haben – und eine beruhigende Ausrede für diejenigen, die an der Macht sitzen.
Aber hey, zumindest haben wir jetzt eine Ausrede, wenn das nächste Mal etwas nicht klappt: „Ich hatte einfach nicht den richtigen Hammer!“
Vielleicht gibt es eine höhere Instanz, vielleicht nicht – und wenn es sie gibt, sollten wir ihr vertrauen. Nicht blind, nicht naiv, nicht nach Konzepten die der Mensch erfunden hat, sondern in dem Wissen, dass wir versuchen, Gott zu spielen und dabei kläglich scheitern. Vielleicht sollten wir aufhören, uns immer weiter zu optimieren und zu versuchen, alles zu kontrollieren. Vielleicht sollten wir einfach nur das tun, wofür wir wirklich hier sind: Kunst machen, die Natur genießen und uns wieder auf das besinnen, was uns als Menschen ausmacht. Am Ende könnten wir so viel gewinnen, wenn wir uns von der Illusion der Kontrolle lösen und uns wieder mit unserer ursprünglichen Menschlichkeit verbinden würden.
Mich haben diese Erkenntnisse glücklich gemacht. Eben mich aus Konzepten zu befreien, die mich darin hindern, ich selbst zu sein.
xoxo,
Alice