Der Elfenbeinturm und das Nichts

und weshalb wir freie Kunst studieren sollten…

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Die Verlorene Kunst des Denkens

Hoch oben, fernab von den Mühen der gewöhnlichen Welt, thront die intellektuelle Elite. Doch in den letzten Jahren hat sich ein unheilvolles „Nichts“ über den Campus gelegt. Und nein, dies ist keine postmoderne Metapher für die Abwesenheit von Bedeutung – wir sprechen hier von einer institutionalisierten Leere, die all jene verschlingt, die es wagen, sich kritisch zu äußern oder, Gott bewahre, andere Denker:innen zu zitieren, die vielleicht nicht mehr politisch korrekt sind. Foucault hätte in seiner charmant kryptischen Art wahrscheinlich etwas gesagt wie: „Die Universität reproduziert nur das Wissen, das sie zu legitimieren vermag, und bleibt dabei blind für die Ausschlüsse, die sie implizit erzeugt.“ Heute wird das Nichts – jene Leere, die sich aus der Unterdrückung und Marginalisierung gewisser Denker:innen und Ideen speist – systematisch durch neue, institutionell abgesicherte Dogmen vergrößert. Aber wie kam es dazu? Wie wurde die Universität von einem Ort lebendiger Kritik zu einem elitären Schrein des „ewig Reproduzierbaren“? In Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ regiert die Kindliche Kaiserin über das Reich Phantásien, wo alles möglich ist – oder zumindest war. Doch sie ist krank, und ihr Reich verfällt. Die Analogie zur Universität drängt sich hier auf: Einst ein Ort der unbegrenzten Fantasie und des intellektuellen Abenteuers, ist sie heute ein Reich, in dem das „Nichts“ alles verschlingt, was nicht in den engen Kanon des akademisch Erlaubten passt. Unsere Kindliche Kaiserin? Die Universität selbst. Eine unschuldige Herrscherin, die vorgeblich neutral ist, sich als wohltätig gibt, aber im Hintergrund ein komplexes Spiel der Machtausübung betreibt. Während kritische Denker:innen, die vormals gefeiert wurden, immer häufiger als Relikte einer vergangenen Zeit abgestempelt werden, tauchen neue, unverrückbare Dogmen auf. Alte Werke werden nicht mehr gelesen, weil „weiße Männer“ sie geschrieben haben. Stattdessen wird das Nichts immer weiter vergrößert, indem jede unbequeme Erkenntnis mit „konstruktiver Ignoranz“ begegnet wird. Foucault hätte sich, wie ich köstlich über diese Dynamik amüsiert. Schließlich argumentierte er, dass jede Institution ihre Macht durch das definiert, was sie ausschließt, nicht durch das, was sie fördert. Derzeit scheinen deutsche Universitäten – einst Orte des kritischen Diskurses – sich darin zu übertreffen, all jene Denkweisen zu eliminieren, die zu viel Aufmerksamkeit auf Machtstrukturen lenken, die nicht thematisiert werden sollen. „Das Nichts“ aus der „Unendlichen Geschichte“ ist ein dunkles, amorphes Etwas, das Phantásien in sich aufsaugt und zerstört. In der Welt der Universität ist das Nichts das institutionalisierte Schweigen gegenüber unbequemen Gedanken und Autoren, die aus dem Kanon gestrichen werden. Dies könnte Foucaults Konzept der Macht widerspiegeln, das sich nicht nur durch die Durchsetzung von Regeln und Normen ausdrückt, sondern auch durch das, was stillschweigend ausgeschlossen wird. Die Universitäten der Gegenwart könnten als perfekte Illustration von Foucaults These dienen, dass Institutionen darauf abzielen, Ordnung zu schaffen, indem sie bestimmte Wissensformen legitimieren und andere verdrängen. Das Nichts ist die Summe dieser Verdrängung – der unzähligen Werke und Theorien, die nicht mehr gelesen oder diskutiert werden, weil sie nicht dem zeitgenössischen, ideologischen Filter entsprechen. Dabei geht es nicht nur um den Inhalt, sondern auch um die Herkunft der Theorien. Dass bestimmte Ideen von „weißen Männern“ stammen, reicht oft aus, um sie in die ewige Verdammnis zu verbannen – unabhängig von ihrer empirischen Relevanz. So wird die historische Kontextualisierung vollkommen ignoriert. Im Foucaultschen Sinne wird Wissen nicht deshalb ausgeschlossen, weil es falsch ist, sondern weil es eine bestimmte Machtstruktur in Frage stellt oder eben von den „falschen“ Personen kommt.

Der Exorzismus kritischer Denker:innen

In einer ironischen Wendung lässt sich beobachten, wie immer mehr kritische Denker:innen – die einst gefeiert wurden – nun systematisch aus den Universitäten herausgeekelt werden. Diese Geister:innen 8) der Vergangenheit, die zu viel über Machtstrukturen, Freiheit oder die Autonomie des Individuums nachgedacht haben, werden heute zu Unpersonen erklärt. Selbst Foucault, einst der Rockstar der kritischen Theorie, steht in manchen Kreisen unter Verdacht, ein „Produkt seiner Zeit“ zu sein – was in akademischen Kreisen heutzutage eine kaum verhohlene Anschuldigung ist.

Die Mechanismen dieser Ausschlüsse sind so subtil wie allgegenwärtig. Solche Publikationen werden immer seltener zitiert, ihre Seminare immer weniger besucht, und ihre Anstellungschancen werden nach und nach eingeschränkt. Aber das Nichts hört nicht bei den Denker:innen auf – es verschlingt auch die Studierenden, die es wagen, sich auf die altehrwürdigen Werke zu berufen. Studierende, die Kant zitieren, Marx hinterfragen oder gar Foucault selbst kritisch betrachten, werden als antiquiert oder politisch unzuverlässig abgestempelt. So wird das intellektuelle Klima Schritt für Schritt sterilisiert.

Die Universität als Oase des Nichts

Wie würde Foucault die heutige Universität betrachten, insbesondere in Deutschland? Sicherlich würde er sie als eine Institution sehen, die paradoxerweise durch ihre eigene Macht schrittweise zerstört wird. Denn in ihrem Bestreben, ein offener und inklusiver Ort zu sein, errichtet die Universität immer engere Grenzen für das, was gedacht und gesagt werden darf. Das Nichts, das in Phantásien grassiert, ist hier ein metaphorisches Pendant zur institutionellen Leere, die entsteht, wenn all das, was als unbequem oder zu altmodisch angesehen wird, aus dem Diskurs verbannt wird.

Aber das eigentliche Problem liegt tiefer. Die Universität, die einst das Reich der freien Gedanken und des intellektuellen Abenteuers war, wird nun von genau den Kräften dominiert, die sie einst zu bekämpfen vorgab. Diese Kräfte haben Namen: Konformismus, Selbstzensur und, am gefährlichsten von allen, Ignoranz. Wie in der „Unendlichen Geschichte“ gibt es keine explizite Gewalt, keine physische Unterdrückung – nur das Nichts, das stillschweigend verschlingt, was nicht passt.

Der Plot Twist: Die Kindliche Kaiserin und das Nichts als Komplizen

Und nun zum eigentlichen Twist dieser Geschichte. In der „Unendlichen Geschichte“ wird die Kindliche Kaiserin als unschuldige Herrscherin dargestellt, die hilflos zusieht, wie ihr Reich verfällt. Doch was, wenn sie und das Nichts heimlich unter einer Decke stecken? Was, wenn das Nichts gar nicht als Bedrohung verstanden werden sollte, sondern als notwendiger Bestandteil ihrer Macht?

Übertragen auf die Universität: Vielleicht ist das Nichts – also die Ausgrenzung und das Vergessen kritischer Denker:innen und alter Theorien – nicht etwa ein ungewollter Nebeneffekt, sondern ein zentraler Bestandteil des Systems. Die Universitäten haben sich von Orten des kritischen Denkens zu Orten der Reproduktion von Machtstrukturen entwickelt, die sich durch ihre Exklusivität und ihre Ignoranz gegenüber unbequemen Wahrheiten definieren. Die Kindliche Kaiserin, die vorgeblich die freie Wissenschaft vertritt, braucht das Nichts, um ihre eigene Macht zu stabilisieren. Schließlich kann man nur herrschen, wenn man den Raum für Kritik systematisch beschneidet.

Kapitel 1: Die Universität – Ein vermeintlicher Ort der Freiheit

Die Universität, einst ein Leuchtturm kritischen Denkens und ungebundenen Austausches, wird heute zunehmend zum Schauplatz einer internen und externen Machtverschiebung. Diese Macht manifestiert sich nicht mehr in der klaren Autorität des Lehrstuhls oder der Verwaltung, sondern in den subtileren Mechanismen des Ausschlusses und der Konformität. Politische Einmischung, mediale Hetzkampagnen und die allgegenwärtige Angst, „das Falsche“ zu sagen, haben den Raum für kontroverse Diskussionen immer enger werden lassen.

Das von dir genannte Beispiel mit Bettina Stark-Watzinger und der Debatte über die Sanktionierung von Dozent:innen zeigt, wie politische Rhetorik genutzt wird, um die wissenschaftliche Autonomie zu untergraben. Hier wird nicht explizit gesagt: „Du darfst das nicht denken oder lehren.“ Stattdessen wird durch administrative Prüfaufträge und öffentlichen Druck ein Klima geschaffen, in dem die Grenzen des Erlaubten unausgesprochen, aber klar erkennbar sind. Diese Dynamik erinnert stark an Foucaults Idee, dass Macht nicht nur durch Zwang, sondern auch durch das Management des Diskurses ausgeübt wird.

Yassin Musharbashs Einschätzung, dass das Ministerium entweder „das Gespür für diesen fatalen Eindruck“ verloren habe oder absichtlich daran arbeite, abweichende Meinungen in der akademischen Gemeinschaft zu sanktionieren, ist eine perfekte Illustration dieses Mechanismus. Foucault hätte dies als ein Beispiel für die „Mikrophysik der Macht“ interpretiert – die Art und Weise, wie Macht durch die alltäglichen, scheinbar harmlosen Praktiken der Institution ausgeübt wird. Es geht nicht darum, jemanden offen zum Schweigen zu bringen. Vielmehr entsteht eine Kultur der Selbstzensur, in der Dozent:innen ihre Worte mit Bedacht wählen und Studierende sich davor hüten, Themen zu diskutieren, die als unangenehm oder politisch unpassend gelten könnten.

Kapitel 2: Die Kindliche Kaiserin und das Nichts – Eine Allegorie der Universitätslandschaft

An dieser Stelle lohnt es sich, auf die metaphorische Ebene zu wechseln und die Rolle der Kindlichen Kaiserin aus Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ als Allegorie für die moderne Universität zu nutzen. Die Kindliche Kaiserin, die in der Geschichte als unschuldig und über den Dingen stehend erscheint, hat in Wahrheit eine viel komplexere Rolle. Sie herrscht über Phantásien, aber ohne selbst einzugreifen. Sie ist die Symbolfigur für einen scheinbar neutralen Raum, in dem alles möglich ist, doch ihr Reich verfällt, weil sie nicht aktiv handelt. Das „Nichts“, das Phantásien verschlingt, ist das Resultat ihrer Untätigkeit – oder gar ihres stillen Einverständnisses.

Die Universität, ähnlich wie die Kindliche Kaiserin, präsentiert sich als neutraler und objektiver Ort, der „über den Dingen“ steht. Sie behauptet, ein Raum des freien Denkens und der Wissenschaftsfreiheit zu sein. Doch diese Neutralität ist trügerisch. Während sie vorgibt, unpolitisch und offen für alle Perspektiven zu sein, unterstützt sie indirekt die Verbreitung eines „Nichts“, indem sie all jene Stimmen ausschließt, die nicht in die herrschenden ideologischen Paradigmen passen. In dieser Hinsicht arbeiten die Kindliche Kaiserin (die Universität) und das Nichts (die institutionalisierte Ignoranz und Zensur) Hand in Hand.

Foucault hätte diesen Mechanismus der „stillen Repression“ als Beispiel dafür gesehen, wie Institutionen nicht nur durch das, was sie tun, sondern auch durch das, was sie nicht tun, Macht ausüben. Indem die Universität bestimmte Themen nicht anspricht, bestimmte Autoren nicht lehrt und bestimmte Diskussionen als politisch oder ideologisch unpassend darstellt, schafft sie ein Nichts – eine Leere, in der alternative Denkmuster nicht mehr existieren dürfen. Das Nichts wächst, je mehr es ignoriert wird, und verschlingt all das, was nicht konform ist.

Kapitel 3: Die Sanktionierung der freien Meinungsäußerung

In deinem Beispiel sehen wir, wie diese Leere konkret aussieht. Der Prüfauftrag, der möglicherweise dazu führen könnte, dass Dozent:innen für ihre Meinungsäußerungen sanktioniert werden, ist eine direkte Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit. Doch die Gefahr liegt nicht nur in der expliziten Sanktionierung – die eigentliche Bedrohung ist das Klima der Angst, das durch solche Prüfaufträge entsteht.

In diesem Kontext wird die Universität von einem Ort des kritischen Diskurses zu einem Raum, in dem Konformität und Angst dominieren. Niemand möchte der oder die Nächste sein, die durch einen medienwirksamen Skandal zum Schweigen gebracht wird. Studierende und Dozent:innen beginnen, sich selbst zu zensieren, um nicht ins Visier der akademischen Bürokratie oder der medialen Empörung zu geraten.

Hier manifestiert sich erneut Foucaults Idee der Disziplinarmacht: Die Universität wird zum Ort der ständigen Überwachung und Selbstdisziplinierung. Die Dozent:innen überwachen sich selbst, passen ihre Lehrinhalte an und vermeiden es, riskante Themen anzusprechen. Die Studierenden lernen, welche Fragen sie stellen dürfen und welche nicht – nicht durch explizite Verbote, sondern durch die subtile, aber allgegenwärtige Angst, aus der Reihe zu tanzen. Die Institution hat es geschafft, Macht auszuüben, ohne Gewalt anwenden zu müssen. Das Nichts hat gewonnen.

Kapitel 4: Die Wiederkehr der kritischen Denker:innen – Ein nostalgischer Rückblick

Doch was ist mit all den kritischen Denkern, die einst das Fundament der universitären Lehre bildeten? Foucault, Marx, Derrida, Adorno – all diese Denker, die einst als die Wegbereiter:innen des kritischen Diskurses gefeiert wurden, scheinen heute in den Hintergrund gedrängt zu werden. Ihre Werke werden als „überholt“ betrachtet, als Produkte einer vergangenen Epoche, die in der heutigen politischen Landschaft keinen Platz mehr haben.

Dies führt uns zu einer paradoxen Situation: Die Universität, die einst auf der Grundlage dieser Denker:innen aufgebaut wurde, lehnt nun zunehmend die kritischen Ideen ab, die sie überhaupt erst zu einem Ort des intellektuellen Austauschs gemacht haben. Doch warum? Foucault würde argumentieren, dass dies eine klassische Form der Machtkonsolidierung ist. Indem die Universität ihre eigenen Ursprünge verleugnet und die Denker:innen ausschließt, die einst ihre Stärke ausmachten, schafft sie Platz für neue Machtstrukturen und neue Formen der intellektuellen Kontrolle.

Die Kindliche Kaiserin, die sich einst auf die Helden von Phantásien verließ, um ihr Reich zu retten, hat sich nun vom Nichts korrumpieren lassen. Sie hat erkannt, dass das Nichts ihre Macht stärkt, indem es all jene kritischen Denker:innen auslöscht, die ihre Herrschaft in Frage stellen könnten. So bleibt sie an der Macht – scheinbar unschuldig, aber in Wahrheit eine stillschweigende Komplizin des Nichts.

Kapitel 5: Der Elfenbeinturm und das Schicksal der Universität

Die Universität ist heute mehr denn je ein Elfenbeinturm – aber nicht in der traditionellen, romantisierten Vorstellung eines Ortes, an dem kluge Köpfe abgeschottet von der realen Welt forschen. Stattdessen ist der Elfenbeinturm heute ein Ort, an dem bestimmte Gedanken und Ideen systematisch ausgeschlossen werden, um die Machtstrukturen zu erhalten, die diese Institution regieren.

Die Universität hat sich in ihrem Bestreben, ein offener und inklusiver Ort zu sein, paradoxerweise selbst zu einem Ort der Ausgrenzung gemacht. Sie ist nicht mehr der Raum des freien Denkens, sondern ein geschlossener Raum, in dem das Nichts regiert. Und während sie vorgibt, die Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen, trägt sie in Wirklichkeit zu ihrem schleichenden Niedergang bei.

Kapitel 6: Die Unsichtbare Hand des Nichts

Die fortschreitende Verdrängung abweichender Meinungen an den Universitäten gleicht dem Eindringen des „Nichts“ in die Welt von Phantásien. Doch was genau ist dieses „Nichts“, das die modernen Universitäten durchdringt und verschlingt? In Foucaults Terminologie könnte man es als eine Mischung aus institutionalisierter Macht, bürokratischer Disziplin und systematischer Überwachung bezeichnen – es ist die Unsichtbarkeit der Kontrolle, die am gefährlichsten ist. Wie das „Nichts“, das alles, was kritisch, kreativ und widerständig ist, verschlingt, ohne dass es eine offene Konfrontation gibt, wird auch in den Universitäten die Abweichung zunehmend subtil unterdrückt.

Was das „Nichts“ in der Universitätslandschaft jedoch besonders perfide macht, ist, dass es sich oft in scheinbar progressiven und „inklusiven“ Narrativen versteckt. Es präsentiert sich als die Verteidigung der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Diversität, während es in Wirklichkeit den Raum für wahrhaft kritische Auseinandersetzungen immer weiter einschränkt. Die Machtmechanismen hinter dieser Rhetorik sind komplex: Einerseits fordert die Universität zunehmend eine gesellschaftliche Relevanz und Harmonie ein, was bedeutet, dass kontroverse, systemkritische oder gar radikale Stimmen in den akademischen Diskursen als störend empfunden werden. Andererseits zwingt der Druck von außen, etwa von Medien oder politischen Akteuren, die Universität dazu, sich einer bestimmten ideologischen Linie anzupassen.

Die Kindliche Kaiserin in der „Unendlichen Geschichte“ ist sich der Macht des „Nichts“ wohl bewusst. Doch sie schweigt. Sie tut nichts, um die Zerstörung Phantásiens zu stoppen – genau wie die modernen Universitäten, die zwar die Krise der Wissenschaftsfreiheit anerkennen, aber keine Maßnahmen ergreifen, um sie aufzuhalten. Eine Macht durch Untätigkeit, eine Komplizenschaft mit der unsichtbaren Hand des Nichts. Sie könnte aufstehen und die Kreativität und das rebellische Denken in ihrem Reich fördern, aber sie wählt den bequemeren Weg – den der Stille und des Zuschauens.

Kapitel 7: Die Universitätslandschaft im postfaktischen Zeitalter

In den letzten Jahren haben sich Universitäten, die eigentlich als Bollwerk der Wahrheit und des Wissens galten, immer mehr in den Strudel des sogenannten „postfaktischen Zeitalters“ ziehen lassen. Der Druck von Interessengruppen, der Einfluss von Social Media und die wachsende Politisierung des akademischen Diskurses führen dazu, dass die Grenzen dessen, was gelehrt und gesagt werden darf, immer enger gezogen werden.

In der „Unendlichen Geschichte“ beschreibt Michael Ende das „Nichts“ als eine Kraft, die nicht nur alles verschlingt, sondern auch das Vertrauen der Menschen in Phantásien zerstört. Auch in den Universitäten ist ein ähnlicher Vertrauensverlust spürbar. Immer mehr Menschen stellen infrage, ob die Universität tatsächlich noch ein Ort des freien Denkens ist oder ob sie sich dem Zwang der Konformität und der institutionellen Machtmechanismen beugt. Die Universität hat sich von einem Ort der Neugier und des kritischen Hinterfragens zu einer bürokratischen Maschine gewandelt, die oft mehr darauf bedacht ist, ihre eigene Macht zu erhalten, als Wissen zu schaffen oder Innovation zu fördern.

Foucault hätte diese Entwicklung mit großer Skepsis betrachtet. Für ihn waren Institutionen nie neutral, und die Universität ist keine Ausnahme. Sie hat sich von einem Ort, an dem Wahrheit durch offene Diskussion gefunden wird, in einen Raum verwandelt, in dem Wahrheit diktiert wird – nicht durch explizite Befehle, sondern durch subtile soziale und institutionelle Prozesse, die abweichende Meinungen sanktionieren oder marginalisieren. Und genau wie das „Nichts“, das in Phantásien wütet, ist diese Art von Macht so gefährlich, weil sie oft unsichtbar bleibt.

Früher wurden die Wissenschaften an den Universitäten in einem völlig anderen geistigen und methodischen Rahmen studiert als heute. Vor der Einführung von standardisierten Studienstrukturen, wie sie das Bologna-System vorgibt, stand der Zugang zu akademischem Wissen in starkem Kontrast zu den modernen Vorstellungen von Effizienz, Prüfungskontrolle und beruflicher Verwertbarkeit. Besonders die Geistes- und Sozialwissenschaften boten Raum für persönliche Reflexion, tiefergehende theoretische Diskussionen und eine breitere, oft fächerübergreifende Auseinandersetzung mit den Inhalten. Primär standen nicht die berufliche Vorbereitung im Vordergrund, sondern eine umfassende Bildung, die dazu diente, den Studierenden ein ganzheitliches Verständnis der Welt zu vermitteln.

In der Philosophie etwa gab es kaum strikte Curricula oder standardisierte Prüfungsformen. Studierende konnten sich relativ frei durch die philosophischen Systeme bewegen, von antiken Denkern wie Platon oder Aristoteles zu modernen Strömungen wie Kant oder Nietzsche. Ähnlich war es in der Psychologie, die in ihren Ursprüngen tief mit der Philosophie verwoben war. Der Zugang zur menschlichen Psyche war theoretisch offen, und verschiedene Schulen von Sigmund Freud bis Carl Jung boten alternative Ansätze, die den Studierenden die Möglichkeit gaben, ihre eigenen Sichtweisen zu entwickeln.

Im Kontrast dazu wird heute im Rahmen des Bologna-Systems, das in den 1990er Jahren in Europa eingeführt wurde, der universitäre Bildungsweg stark strukturiert. Das Ziel der Reform war es, Studiengänge in ganz Europa zu harmonisieren, den Studierenden mehr Mobilität zu ermöglichen und die Studienzeiten zu verkürzen. Doch was als Modernisierung und Verbesserung gedacht war, hat in vielen Bereichen zu einer Verschulung der Hochschulen geführt.

Besonders in der Psychologie wird diese Veränderung sichtbar. Während der Studiengang früher Raum für Spezialisierungen und tiefere Auseinandersetzungen mit alternativen psychologischen Theorien bot, ist er heute oft stark normiert. Psychologiestudierende folgen einem festen Lehrplan, der sich auf messbare Kompetenzen und standardisierte Prüfungsergebnisse konzentriert. Die Ausbildung zielt zunehmend darauf ab, Studierende für den Arbeitsmarkt vorzubereiten, statt sie in kritisches, kreatives und theoretisches Denken zu führen.

Hier wird deutlich, dass Psychologie heute vermehrt der Normierung und Konformität unterworfen ist. Studierende werden darauf trainiert, psychologische Methoden zu erlernen und anzuwenden, die sich in einer bestimmten professionellen Praxis bewährt haben. Die Tendenz geht in Richtung der Vermittlung „evidenzbasierter“ Praktiken, die in klinischen oder beratenden Berufen als notwendig erachtet werden. Damit einher geht ein Fokus auf die Anwendung standardisierter Tests und Diagnosen, wodurch die Komplexität menschlicher Erfahrung und Abweichungen von der Norm häufig vereinfacht oder pathologisiert werden.

Ein Beispiel ist die verstärkte Konzentration auf standardisierte Diagnosemanuale wie das DSM-5 (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen). Dieses Handbuch hat über die Jahre immer mehr psychische Zustände formalisiert und kategorisiert, was zu einer zunehmenden Normierung dessen führt, was als „psychisch gesund“ oder „gestört“ gilt. Während der Ansatz früherer Psychologen wie Freud oder Jung darin bestand, die Einzigartigkeit der menschlichen Psyche zu betonen, neigt das moderne Studium der Psychologie oft dazu, individuelle Unterschiede zugunsten von normativen Diagnosen zu übersehen!

In diesem normierten Umfeld wird die akademische Freiheit, die früher ein wesentlicher Bestandteil des Studiums war, oft durch den Zwang ersetzt, sich den Erwartungen eines straffen, vorgegebenen Curriculums anzupassen. Diese Entwicklung birgt die Gefahr, dass die eigentliche Wissenschaft hinter der Psychologie – die tiefere Erforschung der menschlichen Natur – zunehmend einer bürokratischen Kontrolle unterworfen wird, bei der der Zweck nicht mehr die Erweiterung des Wissens ist, sondern die Schaffung von standardisierten Fachkräften für den Arbeitsmarkt.

Kapitel 8: Der Zirkelschluss der Macht

Im Vergleich zu früheren Epochen scheinen die modernen Universitäten in einem ständigen Zirkelschluss gefangen zu sein. Einerseits wollen sie Orte des Fortschritts und der Innovation sein, andererseits müssen sie sich den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kräften beugen, die sie zunehmend kontrollieren. Diese paradoxe Situation erinnert stark an Foucaults Konzept des Panoptikums – ein System der totalen Überwachung, in dem die Insassen:innen sich selbst disziplinieren, weil sie nie wissen, ob sie beobachtet werden oder nicht. An den Universitäten disziplinieren sich die Studierenden und Lehrenden zunehmend selbst, weil sie nie wissen, wann und wie ihre Meinungen oder ihre Forschung von den Machthabenden – seien es politische Akteur:innen, wirtschaftliche Interessen oder die Universitätsverwaltung selbst – sanktioniert werden könnten.

Die Kindliche Kaiserin ist eine perfekte Metapher für dieses Machtgefüge. Sie sitzt im Zentrum, scheinbar neutral und über den Dingen stehend, doch ihre Passivität ist es, die das „Nichts“ erst möglich macht. In den Universitäten beobachten wir eine ähnliche Dynamik: Es gibt kein explizites Verbot kritischer Stimmen, aber durch die ständige Überwachung, den wachsenden Druck zur Konformität und die subtilen Mechanismen der Ausgrenzung wird das „Nichts“ immer mächtiger. Die Universität wird zu einem Ort, an dem der kritische Diskurs immer weiter eingeschränkt wird – nicht durch offene Zensur, sondern durch die allgegenwärtige Angst, die eigene Karriere oder den akademischen Status zu gefährden.

Kapitel 9: Das Ende der akademischen Freiheit?

Die Frage stellt sich mir, ob die Universität als Ort der freien Meinungsäußerung und des kritischen Denkens in ihrer jetzigen Form überhaupt noch überleben kann. Die Mechanismen des „Nichts“, die in Form von institutioneller Kontrolle, öffentlicher Meinung und politischem Druck wirken, haben bereits tiefe Spuren hinterlassen. Studierende und Lehrende fühlen sich zunehmend gefangen in einem System, das sich mehr auf die Erhaltung von Machtstrukturen als auf die Förderung von Wissen und Wahrheit konzentriert. Die Universität, einst eine Bastion der Freiheit, ist auf dem besten Weg, zu einer leeren Hülle zu verkommen – zu einem weiteren Instrument der Macht, das das kritische Denken nicht mehr fördert, sondern unterdrückt. Und was würde mein Freund Tim dazusagen, der sich als Dozent auf der Suche Anerkennung und Gehör dieser Maschinerie hingegeben hat?

Die Rolle der Kindlichen Kaiserin wird doch nun besonders deutlich. Am Ende der „Unendlichen Geschichte“ stellt sich heraus, dass sie und das „Nichts“ in gewisser Weise miteinander verbunden sind. Ohne das „Nichts“ könnte sie ihre Machtposition nicht aufrechterhalten. Ebenso ist es in der Universitätslandschaft: Ohne die subtilen Mechanismen der Macht, die das „Nichts“ repräsentiert, könnte die Universität ihre Autorität und ihren Status nicht bewahren. Sie behauptet, ein Ort der Aufklärung zu sein, doch in Wahrheit ist sie nur eine weitere Akteurin im Spiel der Macht – eine Akteurin, der von innen heraus von dem „Nichts“ zersetzt wird, das sie eigentlich bekämpfen sollte.

Kapitel 10: Der Ausweg – Ein neues Phantásien?

Doch es gibt auch Hoffnung. In der „Unendlichen Geschichte“ wird Phantásien durch die Kreativität und den Mut von Bastian und Atréju gerettet. Auch die Universitäten könnten einen solchen Wandel erleben. Doch dazu müssten sie bereit sein, ihre Rolle als Hüter der Wahrheit und als Bastionen des kritischen Denkens wieder ernst zu nehmen. Sie müssten aufhören, sich dem „Nichts“ der institutionellen Macht und der politischen Einflussnahme zu beugen, und stattdessen Räume für echte Diskussionen und abweichende Meinungen schaffen.

In Foucaults Denken liegt der Schlüssel zur Veränderung in der Offenlegung der Machtstrukturen. Indem wir die Mechanismen, die das „Nichts“ in den Universitäten fördern, sichtbar machen und hinterfragen, können wir anfangen, diese Strukturen zu durchbrechen. Doch das wird nicht leicht sein. Es erfordert Mut von denjenigen, die in der Universität arbeiten und lernen, sich gegen das „Nichts“ zu stellen – so wie Bastian und Atréju es taten. Nur durch aktiven Widerstand gegen die unsichtbare Macht des „Nichts“ kann die Universität wieder zu dem werden, was sie einst war: ein Ort des freien Denkens und der wissenschaftlichen Neugier.

Wer war dieser Foucault noch gleich, fragst du dich vielleicht falls du ihn nicht kennst. Ein kluger weißer Denker französischer Herkunft. Wenn der nun auch gecancelt wird, weil er weiß und männlich war, haben wir uns wirklich verloren und ich sollte mich ebenfalls, wie viele andere Denker:innen ins Exil begeben. Über Kommentare zu diesen Gedanken würde ich besonders freuen. Bleibt locker und in Bewegung.

xoxo, Alice

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